Hohensinner im Interview: „Kahr muss Verantwortung übernehmen!“

Bildung, Bauen und vor allem Verkehr: In wichtigen Bereichen gleicht die Grazer Stadtpolitik einer großen Baustelle. Im Interview erklärt Kurt Hohensinner, warum das Jahr 2023 für Graz ein verlorenes Jahr war – und was es braucht, damit 2024 besser wird: Lösungen für die Probleme der Gegenwart, Ideen für die Herausforderungen der Zukunft und eine Stadtführung, die ehrlich zu ihrer Verantwortung steht.

Graz konkret: 2023 neigt sich dem Ende zu. Aus Grazer Sicht: Ein gutes Jahr?

Kurt Hohensinner: Aus Grazer Sicht leider ein verlorenes Jahr. Und zwar in den unterschiedlichsten Bereichen: Vom Verkehr über die Kinderbetreuung und die Stadionfrage bis zum Umgang mit Freiwilligen und Ehrenamtlichen, denen die rot-grüne Stadtkoalition die verdiente Anerkennung verweigert.

Ein kritischer Befund.

Aber leider ein realistischer. Graz ist für viele Menschen eine wunderschöne Stadt – für mich persönlich die schönste, die es gibt. Ich bin in die Stadtpolitik gegangen, weil ich das Beste für die Grazerinnen und Grazer und unsere gemeinsame Heimatstadt will. Die Stadtführung scheint weniger mit der Frage nach der besten Lösung beschäftigt zu sein als mit der Frage nach der besten Ausrede. Statt zu überlegen, was Graz morgen braucht, schaut man in die Vergangenheit. Statt an einer guten Zukunft für die Stadt zu arbeiten, gibt man sich mit der Verwaltung aktueller Probleme zufrieden.

Wo sehen Sie Aufholbedarf?

Mich interessiert in erster Linie, wie es den Menschen in Graz geht. Elke Kahr regiert die Stadt mit ihrer Koalition seit über zwei Jahren, fast die Hälfte der Legislaturperiode ist vorbei. Deshalb stelle ich die Frage: Geht es den Menschen in Graz heute besser? Die Demokratie ist Wettbewerb. Sie lebt davon, dass jemand mit dem Versprechen, es besser zu machen, Verantwortung übernimmt. Aber wird die Kahr-Schwentner-Koalition dieser Verantwortung gerecht?

Und welche Antwort bekommen Sie von den Grazerinnen und Grazern auf diese Frage?

Egal, mit wem ich rede – mit Familien und Eltern, in Geschäften und Betrieben, in den Vereinen, einfach mit den Menschen in unserer Stadt – die Antwort lautet immer öfter: „Nein“. Es geht den Menschen heute nicht besser als vor zweieinhalb Jahren. Es gibt in so vielen Bereichen sogar mehr zu tun als je zuvor. Und zwar in sehr wichtigen Bereichen wie der Kinderbetreuung oder bei der Bautätigkeit. Oder natürlich beim gesamten Thema Verkehr und Parken.

Die Bürgermeisterin schiebt die Schuld oft ab – in der Vergangenheit seien Fehler gemacht worden. Für Sie kein Argument?

Wer seit über zwei Jahren regiert, sollte sich nicht immer auf das ausreden, was davor war. Wer fast die Hälfte der Periode gemeinsam mit Grün und Rot die Linie vorgibt, sollte endlich für das Verantwortung übernehmen, was jetzt ist. Wenn man im Fußball eine schlechte Saison spielt, ist auch nicht der Trainer schuld, der die Mannschaft vor über zwei Jahren trainiert hat.

In der Kahr-Schwentner-Koalition sollte man ehrlich mit den Grazerinnen und Grazern sein. Ehrlichkeit bedeutet aber, zu seiner Verantwortung zu stehen – und fehlende Erfolge einzugestehen.

Welche Entwicklungen kritisieren Sie konkret? Wo übernimmt die Stadtkoalition zu wenig Verantwortung?

Das zeigt sich in verschiedenen Bereichen. Und leider in solchen, die für die Menschen in Graz besonders wichtig sind. Es geht nicht um Luxusthemen, sondern um Entwicklungen, die die Menschen in der Stadt jeden Tag zu spüren bekommen. Um ganz konkret zu werden: In der Kinderbetreuung, wo ich viele Vorschläge gemacht und Lösungen aufgezeigt habe, aber die Anliegen von sehr vielen Eltern und Kindern von der Stadt-Koalition nach wie vor ignoriert werden. Oder bei der Verbauung, wo sich die Situation noch weiter verschärft hat. Oder – und derzeit ganz besonders – im Verkehr, wo Kahr mit der selbsternannten Gestalterin der Stadt Judith Schwentner für viele Belastungen verantwortlich ist.

Besonders das Thema Verkehr hat im vergangenen Jahr stark polarisiert …

Ich kann die Aufregung sehr gut verstehen: Die Menschen sind aufgrund der vielen negativen Nachrichten aus aller Welt verunsichert. Viele haben berechtigte Sorgen und Anliegen. Statt in dieser ernsten Zeit aber auf diese Sorgen und Anliegen einzugehen, macht die Kahr-Stadtregierung teure Experimente mit dem Geld der Grazer – zum Leidwesen der Grazer.

Was läuft im Grazer Verkehr so verkehrt? Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Druckstellen?

Das Hauptproblem ist, dass Judith Schwentner und Elke Kahr nicht Verkehrspolitik für alle Grazerinnen und Grazer macht, sondern nur für einen kleinen Teil von ihnen. Mit teuren Prestigeprojekten und mit einer beachtlichen Gleichgültigkeit gegenüber den Anliegen weiter Teile der Bevölkerung. Statt das Gespräch mit ihnen zu suchen, werden sie vor vollendete Tatsachen gestellt. Nehmen wir nur das Verkehrschaos in der Neutorgasse, die Fahrradstraße in der Marburger Straße oder die fast 1.000 gestrichenen Parkplätze. Und leider wird es auch im nächsten Jahr nicht besser, weder in der Innenstadt noch bei anderen Stau-Hotspots in Puntigam oder im Grazer Westen. Wir haben immer wieder konstruktive Vorschläge gemacht. Wir sind in Gesprächen mit Experten, Praktikern und der Öffentlichkeit. Wir haben immer wieder auf die Belastungen für kleine Betriebe und Geschäfte hingewiesen und die Einschränkungen in der Lebensqualität thematisiert. Und wir werden das auch weiter tun.

Haben Sie die Hoffnung, dass das Jahr 2024 besser für Graz wird? Oder droht das nächste verlorene Jahr?

Wir werden jedenfalls weiterhin Probleme ansprechen und Lösungen aufzeigen. Wir werden von denen, die in Graz vor über zwei Jahren eine Führungsrolle übertragen bekommen haben, weiter fordern, dieser auch endlich gerecht zu werden. Und wir werden Bürgermeisterin Kahr weiter daran erinnern, endlich Verantwortung zu übernehmen, statt sie abzuschieben. Natürlich, der rot grünen Koalition fehlen Erfolge im Heute und die Pläne für Morgen. Stattdessen gab es zuletzt offenbar immer mehr interne Konflikte. In der aktuellen Verfassung droht die Koalition jedenfalls selbst zur größten Baustelle zu werden.